Recensioni / Il cimitero ebraico in Italia. Storia e architettura di uno spazio identitario

Der jüdische Friedhof, der wie kaum ein zweiter Ort der historischen jüdischen Topografie Schnitt- und Bruchstellen religiöser Tradition und geschichtlicher Entwicklung objektiviert, ist nicht zuletzt dieser Zeigerfunktion wegen zum Gegenstand zahlreicher Forschungsarbeiten geworden (vgl. dazu etwa Falk Wiesemann, Sepulcra judaica. Bibliographie zu jüdischen Friedhöfen und zu Sterben, Begräbnis und Trauer bei den Juden von der Zeit des Hellenismus bis zur Gegenwart/Jewish Cemetries, Death, Burial and Mourning from the Period of Hellenism to the Present. A Bibliography. Klartext Verlagsgesellschaft, Essen 2004). Auch für den italienischen Kontext existieren entsprechende Studien, die indes vorrangig Friedhöfe einzelner Kommunen in den Blick nehmen (Ori [2001], Lupinelli [2005], Balboni [2011], Levi [2013]). Andrea Morpurgos Studie hebt sich hiervon ab: Architekturhistorisch angelegt geht seine Arbeit auf jüdische Friedhöfe in ganz Italien ein und untersucht sie mittels quantitativer und qualitativer Analysen hinsichtlich ihrer identifikationsstiftenden Bedeutung für ein dem Wandel der Zeit unterliegendes jüdisches Selbstverständnis. Seinen umfassenden Zugriff problematisiert Morpurgo zu Beginn seiner Ausführungen (S. 13). Der methodischen Herausforderung begegnet er durch Schwerpunktsetzungen: Nach einigen Schlaglichtern auf die Besonderheiten aschkenasischer und sephardischer Sepulkralkultur und in die Frühgeschichte jüdischer Friedhöfe in Italien (campi/campacci, orti/ortacci) vor den Stadtmauern geht er zunächst auf die Herausbildung eines „exotischen“ Stils im ausgehenden 18. Jh. ein. Dieser wurde im Synagogenbau und der Friedhofsgestaltung sichtbar und entstand in Antwort auf Fragen, die die rechtliche Gleichstellung, der Zuzug in urbane Zentren und das an Bedeutung gewinnende bürgerliche Leitmotiv an die jüdische Lebenswelt Italiens stellten. Als jüdisches Distinktionsmerkmal und Möglichkeit der Selbstverortung in der Moderne stand diesem „Orientalismus“ eine antisemitisch gefärbte Fremdorientalisierung gegenüber. Indes umreißt der Autor diese Bezüge nur, schön wäre an dieser Stelle eine ausführlichere Integration des Themas in den Fragehorizont des Buches gewesen, der über das Architektonische hinausgeht. Ihm wird zudem auch in der Forschung Rechnung getragen (Kalmar/Penslar [2005], Aschheim [2010]). Der Gegenstand des angezeigten Buches hätte hier weiterreichende Anknüpfungspunkte gefunden. Im Folgenden konzentriert sich die Darstellung auf die Entstehung, Entwicklung und die Besonderheiten größerer jüdischer Friedhöfe Italiens (Triest, Florenz, Livorno, Turin, Genua, Rom, Modena, Bologna, Mailand, Neapel, Ancona, Venedig und Ferrara). Eindrücklich zeigt sich dabei die Interdependenz der jüdischen und der allgemeinen Geschichte: Für den wechselvollen Umgang mit den Juden Italiens, einer je nach politischer Lage zwischen Duldung, Privilegierung, Diskriminierung, Ausweisung und Reintegration in einem Zustand dauernder Unsicherheit lebenden Bevölkerungsgruppe, erscheint der jüdische Friedhof als Seismograf. Im Zeitalter der Emanzipation etwa avancierte dieser Ort zum Indikator assimilatorischer Tendenzen (S. 67, 97), wie Morpurgo expliziert. Nicht länger wurden alle Toten in gleicher Weise zu Grabe getragen und bestattet, vielmehr spiegelten sich in Anlehnung an die bürgerliche Kultur der Mehrheitsgesellschaft soziale Unterschiede wie auch Berufsstand und gesellschaftliche Bedeutung des Verstorbenen in Trauerzügen, Grablegung und Grabgestaltung wider. Teil dieses Prozesses war die Herausbildung einer jüdischen Grabikonografie mit zeitgenössischer Anlehnung an ägyptische und antike Elemente; das „erzählende“ Grab entstand (S. 146 f. und S. 149). Ein abschließendes Kapitel befasst sich mit den zahlreichen Gewaltakten gegen jüdische Beerdigungszüge und Grabfelder. Es dokumentiert Beschimpfungen, den verhinderten Landerwerb jüdischer Gemeinden zum Zweck der Friedhofserrichtung, die Schändung, Zerstörung oder Nutzung von Grabsteinen als Baumaterial und die Versuche, diesen Tendenzen mit gesetzlichen und polizeilichen Mitteln Herr zu werden. Morpurgo geht ferner auf die auch den jüdischen Friedhof betreffenden Restriktionen im Faschismus und die Auswirkungen der Shoah auf die Infrastruktur der jüdischen Gemeinden Italiens ein. Ein umfassender Fußnotenapparat, ein ebensolcher Bild- und Kartenteil und eine nach Regionen unterteilte Auflistung kleinerer jüdischer Friedhöfe Italiens mit einer jeweils kurzen Beschreibung runden das Buch ab. Es erlaubt einen differenzierten Einstieg in das Forschungsthema und bietet Anregungen für die weitere Beschäftigung mit ihm.